Phänomen „Freie Sachsen“: Wie die rechtsextreme Partei mit alten Strukturen in Mittelsachsen Fuß fasst

Die rechtsextreme Partei „Freie Sachsen“ stellt in Mittelsachsen mitunter mehr Personal zur Kreistagswahl als die AfD. Wie konnte die Kleinstpartei so schnell so viel Potenzial mobilisieren?

Mittelsachsen.Die extrem rechten „Freien Sachsen“ treten flächendeckend zur Kreistagswahl im Landkreis an. Zum Teil mit mehr Personal als die AfD. Wie ist ihnen diese Mobilisierung gelungen? Wie kommt es, dass die rechtsextreme Kleinstpartei, die erst 2021 gegründet wurde, aus dem Stand so viel potenzielles Personal aufbringen kann?

So ganz „aus dem Stand“ passiere das nicht, sagt Steven Hummel vom Dokumentationsprojekt „chronik.LE“, das neonazistische, rassistische und diskriminierende Vorfälle in Leipzig und den umliegenden Landkreisen dokumentiert und analysiert. Er sagt, hier finden sich zum Teil schlicht alte Strukturen der NPD, deren Jugendorganisation sowie weitere Akteure aus der Neonazi-Szene unter einem neuen Label wieder. „Dann alles, was über die unzähligen Corona-Proteste, ‚Montagspaziergänge‘ und so weiter radikalisiert und eingesammelt wurde, bis hin ins Reichsbürger-/Verschwörungsspektrum“, beschreibt er. Daran arbeiteten die „Freien Sachsen“ seit rund drei Jahren. 

Alte rechtsextreme Strukturen unter neuem Label

Nach eigenen Angaben wollen sie sich bei den Wahlen auf die kommunale Ebene konzentrieren und warben dort früh für Kandidaten.

Sachsenweit sind sogar es die meisten, mit dem die rechtsextreme Kleinstpartei zur Kreistagswahl am 9. Juni im Landkreis antrete, ordnet das Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen (LfV) auf Anfrage ein. Nach den Einschätzungen der Verfassungsschützer profitieren die „Freien Sachsen“ dabei vom „desolaten Zustand“ der rechtsextremistischen Partei NPD, die sich inzwischen in „Die Heimat“ umbenannt hat. „Einzelne – auch hochrangige -‚Die Heimat‘-Mitglieder haben sich inzwischen unter dem Dach der ‚Freien Sachsen‘ zusammengefunden und bringen ihr personelles und organisatorisches Wissen in deren Parteiarbeit mit ein“, beschreibt ein Referent des LfV.

Nach Erkenntnissen des LfV Sachsen ist dabei Stefan Trautmann ein Hauptakteur der „Freien Sachsen“ im Landkreis: „Der bekannte Rechtsextremist Trautmann stammt aus der neonationalsozialistischen Szene und war in der Partei ‚Die Heimat‘ und deren Jugendorganisation ‚Junge Nationalisten‘ aktiv“.

Mit Lutz Giesen trete ein weiterer führender Rechtsextremist für die „Freien Sachsen“ im Landkreis zu den Kommunalwahlen in Mittelsachsen an, der in den vergangenen Jahren den sogenannten „Trauermarsch“ der rechtsextremistischen Szene anlässlich des Jahrestages der Bombardierung Dresdens im Zweiten Weltkrieg angemeldet habe. Nach dem Verbot der „Artgemeinschaft – Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung“ habe er sich den „Freien Sachsen“ angeschlossen.

Sammelbecken für Rechtsextreme und darüber hinaus

Daneben profitierten die „Freien Sachsen“ von ihrer inzwischen etablierten Rolle als „Mobilisierungsmaschine“ für extremistische, aber auch nicht extremistische Proteste. Auch weil sich die Partei nach Eigenaussage als Sammlungsbewegung verstehe. Das macht sie offen und anschlussfähig, wie mehrere Gesprächspartner wie etwa das Kulturbüro Sachsen bestätigen. Unter ihrem Dach wirken verschiedene extremistische und nicht extremistische Akteure zusammen, bündeln ihre Kräfte und Aktivitäten, beschreibt es das LfV, „ohne dass die Einzelnen sich einer fixen Doktrin unterwerfen müssen.“

Dabei schlössen die „Freien Sachsen“ explizit Partei-Doppelmitgliedschaften nicht aus und seien nach eigenen Angaben zu einer Zusammenarbeit bereit, wenn man „in nur einem Punkt“ übereinstimme. Das trägt auch zum Erfolg bei: Akteure bringen ihre potenziellen Anhänger mit.

Dadurch, dass sie möglichst viele Kandidaten aufstelle, mache die Partei sich auch größer, sagt Steven Hummel. Im Falle der „Freien Sachsen“ könnte dies auch geholfen haben, die 18 notwendigen Unterstützungsunterschriften pro Wahlkreis für die Kreistagswahlen zu sammeln: Die Aufgestellten brachten diese Stimmen mit.

Ob jeder Gewählte das Mandat auch annehme, sei offen, sagt Hummel. Er kenne Beispiele aus dem Landkreis Leipzig aus dem „Neuen Forum für Wurzen“, wo Menschen ihr Mandat nicht antraten, mutmaßlich weil ihnen nicht bewusst war, wofür sie angetreten waren.